Porträt Prof. Dr. Roman Poseck

Der Mensch als tragende Säule

Prof. Dr. Roman Poseck, Hessischer Minister der Justiz, im Gespräch

Am 31. Mai 2022 stellte der neu gewählte Hessische Ministerpräsident Boris Rhein sein Kabinett um und ernannte Prof. Dr. Roman Poseck, den bisherigen Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt und des Staatsgerichtshofs, zum neuen Justizminister. Neben der personellen Ausstattung der Justiz und der Vereinfachung von Massenverfahren hat Staatsminister Poseck die Digitalisierung in den Fokus genommen, um u.a. die vom Gesetzgeber geforderte flächendeckende Einführung der elektronischen Akte (E-Akte) bis 2026 zu realisieren. Wie er dabei vorgeht, welche Bedeutung das Thema Akzeptanz hat und wie sich die Arbeitswelt an den Gerichten dadurch ändert – darüber sprach er mit INFORM.

INFORM: Herr Staatsminister Poseck, Sie bringen viel fachliche Expertise in das Amt des Justizministers ein. Fluch oder Segen?

Prof. Dr. Poseck: Angesichts der aktuellen Herausforderungen empfinde ich Vorerfahrungen und Fachlichkeit als großen Vorteil. Zum einen kenne ich die Abläufe in der Justiz. Zum anderen fällt es mir leicht, eine gute Gesprächsebene mit den Leitungen der Gerichte, den Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten sowie mit den Gremien zu finden. Bei meinen Besuchen der Gerichte und Justizvollzugsanstalten habe ich mich auch mit Bediensteten und Nachwuchskräften ausgetauscht. Mir kommt es darauf an, immer mit einem Ohr in der Praxis zu bleiben und die praktischen Belange in meine politische Arbeit einzubeziehen. Daher sind diese Gespräche mit unterschiedlichen Vertreterinnen und Vertretern aus der hessischen Justiz unglaublich wertvoll.

INFORM: 2015 hatten wir Sie schon einmal für die INFORM interviewt, damals in Ihrer Funktion als Präsident des OLG. Im Fokus stand das Thema Akzeptanzmanagement bei der Digitalisierung. Wie hat sich die Haltung der hessischen Justiz seither verändert?

Prof. Dr. Poseck: Ich erlebe – anders als 2015 – eine viel positivere Einstellung in der Justiz, gerade auch bezüglich der elektronischen Akte. Den betroffenen Berufsgruppen, insbesondere den Richterinnen und Richtern, den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und den Serviceeinheiten, ist heute bewusst, dass die elektronische Akte viele Vorteile mit sich bringt.

Mein Eindruck ist, dass allen bewusst ist, wie wichtig es für die hessische Justiz ist, die digitale Entwicklung mitzugehen. Corona ist gewiss ein Beschleuniger, ein IT-Schub, auch in der Justiz gewesen. Wir haben viele Arbeitsplätze mit einer hohen Geschwindigkeit mobil ausgestattet, sodass die Bediensteten zu einem großen Teil auch das Homeoffice nutzen können. Auch der Ausbau der Videoverhandlungen hat deutlich an Fahrt aufgenommen.

Und schließlich ist es eine Generationenfrage. Wir haben in den Berufsgruppen der Justiz immer mehr junge Menschen, die ganz anderes digitales Know-how, ganz andere Erfahrungen, aber auch ganz andere Ansprüche an ihren Arbeitsplatz mitbringen. Insofern kommen also mehrere Entwicklungen zusammen, die die fortschreitende Digitalisierung weiter voranbringen.

Das zentralste Thema meiner politischen Arbeit ist die Stärkung der personellen Ausstattung der Justiz. Auch wenn die Digitalisierung weiter voranschreitet, wird die Justiz immer Menschenwerk bleiben.

Prof. Dr. Roman Poseck Hessischer Minister der Justiz

INFORM: Auf welche Themenfelder fokussieren Sie sich neben der Digitalisierung?

Prof. Dr. Poseck: Das zentralste Thema meiner politischen Arbeit ist die Stärkung der personellen Ausstattung der Justiz. Davon hängt die Leistungsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften ganz wesentlich ab. Auch wenn die Digitalisierung weiter voranschreitet, wird die Justiz immer Menschenwerk bleiben. Im Doppelhaushalt 2023/2024 sind annähernd 500 neue Stellen für die Justiz vorgesehen – für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, für den mittleren Dienst, also insbesondere die Serviceeinheiten, für Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger sowie den Justizvollzug. Nicht zu vergessen sind deutliche personelle Verstärkungen für den IT-Bereich, weil die Digitalisierung personellen Aufwand in der Betreuung nach sich zieht. So soll der gesamte IT-Bereich 66 zusätzliche Stellen erhalten. Allein die IT-Stelle erhält 36 neue Stellen, um die Einführung der elektronischen Akte zu beschleunigen. Es sind aber auch 25 Stellen für Vor-Ort-Betreuerinnen und Vor-Ort-Betreuer vorgesehen, die als Ansprechpersonen bei allen IT-Problemen schnell erreichbar sein sollen. Die vorgesehenen Stellen werden der Justiz einen Schub in eine gute Zukunft geben.

Ein weiteres wichtiges Thema sind die Verfahrensrechte. Nicht alles kann über zusätzliches Personal gelöst werden. Wir müssen Verfahrensordnungen so anpassen, dass Verfahren effektiver geführt werden können. Deshalb habe ich eine Bundesratsinitiative gestartet, die eine effektivere Bearbeitung von Massenverfahren vorsieht, weil diese die Justiz immens belasten und enorme personelle Kapazitäten binden. Diese Initiative wurde im Bundesrat einstimmig angenommen. Nun liegt es an Bundesjustizminister Marco Buschmann, die Vorschläge umzusetzen und damit die Praxis zu unterstützen. Mein Ziel ist es, wieder zu einem angemesseneren Ressourceneinsatz zu kommen. Dieser ist durch die aktuelle Flut an Massenverfahren, zum Beispiel die unzähligen Diesel-Klagen, in eine Schieflage geraten.

Im Doppelhaushalt sind annähernd 500 neue Stellen für die Justiz vorgesehen. Nicht zu vergessen sind deutliche personelle Verstärkungen für den IT-Bereich, weil die Digitalisierung personellen Aufwand in der Betreuung nach sich zieht.

Prof. Dr. Roman Poseck Hessischer Minister der Justiz

INFORM: Inwieweit kann auch IT zum Vereinfachen der Massenverfahren beitragen?

Prof. Dr. Poseck: Konkretes Potenzial gibt es zum Beispiel im Bereich der Fluggastrechteverfahren, ein Thema, das insbesondere die Amtsgerichte sehr stark betrifft. Darum wurde am Amtsgericht Frankfurt das Projekt FRAUKE gestartet. In diesem Projekt werden auch Elemente der Künstlichen Intelligenz mit in die Verfahrensbearbeitung einbezogen. Gleichwohl müssen wir hier sehr behutsam vorgehen und im Einzelfall prüfen, was sinnvoll und rechtsstaatlich verantwortbar ist. Denn am Ende sind es immer noch die Richterinnen und Richter, die die Verantwortung für die Entscheidungen tragen. KI-Techniken können sie dabei aber unterstützen. Ein weiterer Bereich, in dem der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Justiz konkret diskutiert wird, ist das Festsetzen von Kosten. Hier gibt es kaum individuelle Spielräume; außerdem sind die Vorgänge oft gleich gelagert, weshalb man das Potenzial einer Automatisierung durch Künstliche Intelligenz ausschöpfen kann.

INFORM: Wie weit ist die hessische Justiz derzeit in Sachen Digitalisierung?

Prof. Dr. Poseck: Als Sie mich 2015 als OLG-Präsident interviewt haben, hatte ich die Hoffnung und die Erwartung, dass wir schneller voranschreiten. Aber wir mussten feststellen, dass die Digitalisierung der Justiz – sowohl in Hessen als auch bundesweit – ein sehr komplexes Vorhaben ist. Wir stecken mitten im Transformationsprozess und haben auch schon einiges erreicht, wie die vielversprechenden Pilotierungen der elektronischen Akte am Landgericht Limburg, in der Sozialgerichtsbarkeit und am Verwaltungsgericht in Kassel. Um auch alle anderen Gerichte mit der elektronischen Akte auszustatten, müssen wir an Tempo gewinnen, denn bis zum 1. Januar 2026 muss diese in der Justiz flächendeckend eingeführt sein. Die Besonderheit liegt darin, dass wir so viele unterschiedliche Verfahren und Verfahrensordnungen mit verschiedenen Beteiligten zu berücksichtigen haben. Jedes Verfahren braucht eine passende Lösung. Viele davon liegen zwischenzeitlich vor und müssen nur noch ausgerollt werden, und zwar so, dass es möglichst reibungslos funktioniert und die Bediensteten mitgenommen werden. Die Herausforderung besteht darin, diese Umstellung im laufenden Betrieb zu realisieren.

Prof. Dr. Roman Poseck am Schreibtisch im Gespräch mit der INFORM-Chefredakteurin

INFORM: Wie gehen Sie dabei vor?

Prof. Dr. Poseck: In den ersten Monaten meiner Amtszeit habe ich mich gemeinsam mit der neuen Justiz-Staatssekretärin Tanja Eichner sehr intensiv um das Thema Digitalisierung gekümmert. Wir haben mehrfach die IT-Stelle der hessischen Justiz besucht, Gespräche geführt und zusammen mit der IT-Stelle einen realistischen und belastbaren Plan zur Implementierung der elektronischen Akte erarbeitet. Dieser sieht unter anderem vor, in einem nächsten Schritt in Kassel das Landgericht und in Bad Homburg erstmals ein Amtsgericht mit der elektronischen Akte für Zivilverfahren auszustatten. Wir wollen für den weiteren Prozess konkrete Erfahrungen sammeln, mit welchen Aufwänden und Strukturen die Einführung der E-Akte an einem gesamten Gericht in einem überschaubaren Zeitraum gelingen kann. Besonders wichtig sind mir in diesem Kontext auch die Schulungen für die Bediensteten. Die weiteren Pilotierungen der E-Akte sollen von einem umfangreichen Schulungskonzept begleitet werden. Das halte ich hinsichtlich der Akzeptanz für entscheidend.

INFORM: Welche Aufgaben erfüllen die IT-Stelle der Justiz und auch die HZD als Ihre Digitalisierungspartner noch und was wünschen Sie sich von ihnen?

Prof. Dr. Poseck: Sowohl die IT-Stelle der Justiz als auch die HZD sind aus meiner Sicht der Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung. Wir als Ministerium, aber auch die Gerichte, sind auf ihre gute Arbeit angewiesen, und ich bin froh, dass wir in beiden Einrichtungen viele Expertinnen und Experten haben. Trotzdem müssen wir auch die zentralen Einheiten personell weiter verstärken, was ich in den ersten Wochen meiner Amtszeit bei der IT-Stelle bereits getan habe. So wurden mehrere Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte dorthin abgeordnet. Die IT-Stelle arbeitet bereits seit vielen Jahren eng und vertrauensvoll mit der HZD zusammen. Bei der Umsetzung unserer Vorhaben wird die IT-Stelle auch in Zukunft auf die Expertise und die Unterstützung der HZD angewiesen sein. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir auch alle weiteren Digitalisierungsthemen in engem Schulterschluss angehen und auch die Sorgen und Nöte, die es natürlich immer in solchen Transformationsprozessen gibt, ernst nehmen und in die Bearbeitung mit einfließen lassen.

Sowohl die IT-Stelle der Justiz als auch die HZD sind aus meiner Sicht der Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung. Wir als Ministerium, aber auch die Gerichte, sind auf ihre gute Arbeit angewiesen, und ich bin froh, dass wir in beiden Einrichtungen viele Expertinnen und Experten haben.

Prof. Dr. Roman Poseck Hessischer Minister der Justiz

INFORM: Versetzen Sie sich gedanklich 10 Jahre in die Zukunft: Welchen Impact wird die Digitalisierung auf die Arbeit in Ihrem Ministerium und an den Gerichten haben?

Prof. Dr. Poseck: Ich glaube, dass unsere Arbeitswelt grundlegend anders aussehen wird. Wir werden sicherlich in noch flexibleren Rahmenbedingungen tätig sein. Aber ich bin der Überzeugung, dass Menschen die tragende Säule in der Justiz bleiben werden. Der Mensch muss weiterhin eine Verhandlung führen, einen Fall entscheiden und die Entscheidung erklären. Nur so gelingt es, Akzeptanz und Vertrauen in unserem Rechtstaat zu erhalten.

Prof. Dr. Roman Poseck

kurz und knapp

war Seilbahnschaffner in der Schweiz.

ich mich schon als Jugendlicher für Gerechtigkeit interessiert habe.

mein iPad.

gehe ich gerne joggen oder spiele Basketball.

Reisen.

wie wir eine friedliche Welt erreichen können.