Um Bund und Länder im Zuge der Verwaltungsdigitalisierung bei der Entwicklung gemeinsamer IT-Strukturen und -Standards zu unterstützen, wurde 2020 die Föderale IT-Kooperation – kurz: FITKO – ins Leben gerufen. Im Interview mit INFORM verrät FITKO-Präsident Dr. André Göbel, wie weit dieser Prozess gediehen ist und was es für erfolgreiche IT-Kooperationen braucht.
Interview
Raus aus dem Silodenken
INFORM: Herr Dr. Göbel, die FITKO trägt den Begriff Kooperation bereits im Namen. Was macht eine Kooperation für Sie aus?
Dr. Göbel: Kooperation bedeutet für mich vor allem Zusammenarbeit auf Augenhöhe und ist im föderalen Kontext unheimlich wichtig. Sie muss den Menschen nützen und Mehrwert in ihrem Alltag schaffen – und damit meine ich auch explizit den Wirtschaftsalltag. Das ist ein viel zu unterbelichtetes Thema und spielt deshalb in der Arbeit des IT-Planungsrates eine besondere Rolle.
Unser Fokus liegt darum insbesondere auf den Massenverfahren im Bereich der behördlichen Zusammenarbeit mit Unternehmen – egal, ob sie Dienstleister oder Leistungsempfänger sind. Davon hängt letztlich die langfristige Sicherung unseres Wohlstands ab. Deswegen sollten Bund, Länder und Kommunen all ihre Kraft auf das Wirkungsziel ausrichten, Deutschland besser zu machen, und das vor allem im internationalen Wettbewerb. Nur so schaffen wir wirklich Mehrwert im Alltag der Menschen.
INFORM: Sie sind Verwaltungsinformatiker sowie promovierter Verwaltungs- und Wirtschaftsgeograph und begleiten die Verwaltungsdigitalisierung quasi schon ihr ganzes Berufsleben. Wie viel „digitaler“ ist die Verwaltung in dieser Zeit geworden?
Dr. Göbel: Wenn ich die Situation zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn mit dem vergleiche, was wir in den vergangenen 20 Jahren erreicht haben, sind wir in den jeweiligen Zuständigkeiten sehr viel digitaler geworden. Und genau hier liegt die große Herausforderung: Wir sind in Silos digitaler geworden. Um wirklich effiziente Kooperationen zu schaffen und eine – wie vom OZG geforderte – Ende-zu-Ende-Digitalisierung umzusetzen, müssen wir aber Silo-übergreifend denken und handeln. Und damit tut sich der Staat mit all seinen föderalen Ebenen sehr schwer. Insofern muss ich leider feststellen, dass wir nicht so digital wahrnehmbar sind, wie wir das erhofft haben und wie es nötig wäre.
Trotzdem hat eine ganze Menge an Silo-übergreifender Digitalisierung, also auf vertikaler Ebene, stattgefunden. Ich bin ganz optimistisch, dass wir die kommenden Jahre hier noch besser werden, weil neue Technologien von der Verwaltung heute sehr viel proaktiver angegangen werden.
INFORM: Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Dr. Göbel: Deutschland hatte beispielsweise mit dem Signaturgesetz von 1997 eine wegweisende Richtung eingeschlagen. Doch obwohl dieses Gesetz alle Freiheiten gegeben hat, sind wir am Ende nicht aus den Silos rausgekommen. Eine neue Chance bietet nun der von der EU erlassene AI Act. Er nimmt erstmals auch den Bereich der öffentlichen Verwaltung in den Blick und schafft mit ihm wirklich gute Rahmenbedingungen.
Leider nutzen wir diese Chancen nach wie vor noch zu wenig. Dabei haben Automatisierungstechniken, wie sie heute schon in den Rechenzentren im Einsatz sind, einen riesigen Impact auf die Leistungsfähigkeit im Staat. In der Verwaltung gibt es immer weniger Menschen und immer komplexere Aufgaben. Wir müssen also auf Automatisierung setzen. Genügend Kapazitäten dafür bereitzustellen, schafft allerdings kein Bundesland allein. Dafür ist die Technologie einfach im Moment noch zu komplex. Hier braucht es gelingende IT-Kooperationen, um diesen nächsten großen Schritt zu meistern.
INFORM: In welcher Rolle sieht sich die FITKO in Sachen IT-Kooperationen?
Dr. Göbel: Als Instrument des IT-Planungsrats erfüllen wir als FITKO in erster Linie eine vermittelnde Rolle. Wir begleiten den gesamten Prozess von der Anbahnung bis zur Beschlussfassung. Dafür bündeln wir Meinungen, zeigen Lösungsoptionen auf und erklären die Vor- und Nachteile, damit auf politischer Ebene fundierte und vor allem auch umsetzbare Entscheidungen getroffen werden können.
In diese Rolle ist die FITKO seit ihrer Gründung vor dreieinhalb Jahren schon sehr gut hineingewachsen. Allerdings wollen wir künftig noch stärker die Rolle als Hüterin dieser Beschlüsse wahrnehmen. Das würde bedeuten, dass wir ein gutes Community Management mit klaren Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten betreiben – interne und externe Akteure, öffentliche und private IT-Dienstleister – und die föderale Umsetzungskraft auch wirklich nutzen. Die Expertise dafür ist auf jeden Fall vorhanden und bin ich zuversichtlich, dass wir in diese Rolle noch viel stärker reinwachsen werden.
INFORM: Worin liegen die größten Herausforderungen in der länderübergreifenden Zusammenarbeit?
Dr. Göbel: Um nicht immer in Superlativen zu sprechen: Eine große Herausforderung besteht für uns vor allem darin, bei den vom IT-Planungsrat vorgegebenen Rahmenbedingungen Verlässlichkeit zu schaffen. Das betrifft nicht nur die Digitalstrategie, sondern beispielsweise auch die Erstellung des Wirtschaftsplans. Wir werden viel zu häufig als reiner Geldvermittler wahrgenommen. Es herrscht die Vorstellung, dass alle Länder Geld in einem Topf sammeln, das die FITKO dann an die umsetzenden Stellen weiterleitet. Aber das kann nicht das Ziel sein. Stattdessen sollten wir gemeinsam auf ein Portfolio einzahlen, die verbindenden Architekturen dahinter im Blick behalten und uns Silo-übergreifend auf Datenströme samt Datenschutz konzentrieren. Nur so kommen wir zu echten Prozess-Automatiken.
Eine fordernde Aufgabe ist auch die Registermodernisierung. Auch wenn fälschlicherweise häufig davon ausgegangen wird, ist die FITKO nicht für die Registermodernisierung zuständig. Die Federführung liegt beim Land Hamburg. Wir stellen nur den Gesamtprogrammleiter, der von Hamburg aus gesteuert wird. Das enorm große Vorhaben, bei dem es letztendlich um die Modernisierung von Daten geht, ist eine große Chance für die Verwaltungsdigitalisierung. Ist dieser aufwändige Prozess einmal abgeschlossen, werden wir eine ideale Grundlage für Automatisierung geschaffen haben.
Die Registermodernisierung ist eines der bundesweit größten Transformationsprojekte der digitalen Verwaltung. In Registern, also gesammelten Datensätzen, sind alle Informationen gespeichert, die für das Erbringen einer Verwaltungsleistung erforderlich sind. Die gesetzlich beschlossene Registermodernisierung folgt dem „Once-Only-Prinzip“: Ziel ist es, dass durch vernetzte Register Daten für Verwaltungsleistungen nur einmal eingegeben werden müssen. Davon profitieren Antragstellende und die öffentliche Verwaltung gleichermaßen. Abläufe in Behörden werden effizienter und die Servicequalität für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen steigt.
INFORM: Welche Rolle spielen öffentliche IT-Dienstleister wie die HZD dabei?
Dr. Göbel: Eine ganz wichtige! Öffentliche IT-Dienstleister haben nämlich den Riesenvorteil, dass sie im IT-Ökosystem direkt an den Kunden dran sind – egal ob auf kommunaler oder Landesebene. Ohne sie werden wir die gemeinsame digitale Transformation nicht schaffen. Allerdings wird sich auf absehbare Zeit die technische Rolle der IT-Dienstleister ändern, genau wie die der privaten IT-Unternehmen. Denn neue Technologien wie die Cloudifizierung bringen ein anderes Betriebsmodell mit sich. Das ist eine große Herausforderung, weil die Menschen in diesem Transformationsprozess mitgenommen werden müssen, z. B. durch Weiterbildungsmöglichkeiten. Aus meiner Sicht ist das ein ganz wesentlicher Punkt für das Gelingen öffentlicher IT-Kooperationen, und das gilt auch für den Erfolg der FITKO. Der hängt nämlich wesentlich davon ab, dass die öffentlichen IT-Dienstleister den Draht zu den Menschen vor Ort, zu den Verwaltungen und damit auch zu den Strukturen haben. Von diesem Ökosystem profitieren wir in der Zusammenarbeit enorm.
INFORM: Nehmen Sie uns mit auf eine kleine Gedankenreise: Wie arbeitet die Verwaltung im Jahr 2034?
Dr. Göbel: Das ist eine gute Frage, die ich in der Vergangenheit schon häufiger beantwortet habe. Aber wenn ich heute meine Antworten Revue passieren lassen würde, käme wahrscheinlich ein wenig Ernüchterung auf. Daher nehme ich mal die erfahren-optimistische Perspektive ein und formuliere es lieber so: Ich wünsche mir für 2034 konzertierte, föderale IT-Kooperation. Vor allem die kommunale Ebene sollte elementar entlastet werden, was Infrastrukturfragen angeht. Sie sollte die Möglichkeit haben, die Standard-Basiskomponente einer Lösungsinfrastruktur zu nutzen – weil die bereits alles abdeckt, was man braucht, um handlungsfähig zu sein. Diese Basislösung muss aber auf Open-Source-Mechanismen oder zumindest Open-Code-Mechanismen basieren, damit jeder daran anflanschen und individuelle Komponenten einbinden kann. Das würde uns in eine ganz neue Form der IT-Kooperation bringen. Ich denke, dass die Deutsche Verwaltungscloud diese Chance bereits bietet und Nischen für proprietäre Angebote schafft. Genau das ist wichtig mit Blick auf das Jahr 2034. Denn wir werden es nicht schaffen, alles zentral nach dem Einer-für-Alle-Prinzip herauszubilden. Das wird sich der Staat schlichtweg nicht leisten können, und wir würden unser Ökosystem kaputtmachen.
Außerdem glaube ich, dass in einem Miteinander aus privaten und öffentlichen Akteuren eine große Innovationskraft liegt, die wir vor allem im kommunalen Umfeld brauchen. Die kommunale IT muss darauf ausgerichtet werden, was man vor Ort tatsächlich braucht. Das gilt für alle, denn öffentliche Verwaltung funktioniert deutschlandweit gleich. Und das wäre mein Wunsch: dass wir die heutigen Potenziale, die ebenso wie die Technologien alle schon da sind, mit in die strategischen Entscheidungen für das Jahr 2034 einfließen lassen. Das würde eine Menge an Effizienz und Effektivität für die Zukunft der digitalen Verwaltung mit sich bringen.
INFORM: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dr. André Göbel
kurz und knapp
… Architekt.
… ich mit Verwaltung schon immer sehr viel zu tun hatte und schon als Neunjähriger mit Basic programmiert habe. Da passte einfach beides zusammen.
… mein Smartphone.
… spiele ich mit meinen Kindern.
… ideologische Engstirnigkeit geht.