Prof. Dr. Kristina Sinemus, die einen roten Blazer trägt, in ihrem Homeoffice

Wo Zukunft zuhause ist

„Digitalisierung ist ein großer Gewinn, aber nur mit den Menschen und für die Menschen“, ist Prof. Dr. Kristina Sinemus überzeugt. Die Gründerin, langjährige Unternehmerin, Hochschulprofessorin und IHK-Präsidentin ist Hessens erste Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung. Mit der Digitalstrategie „Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist“ hat sie im vergangenen Spätsommer einen Pflock in Hessens digitalen Boden geschlagen. INFORM traf Ministerin Sinemus – natürlich digital – und sprach mit ihr über Aufbauarbeiten und Visionen, Zukunftsthemen und Ziele.

INFORM: Sie sind seit Januar 2019 Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung. Der Geschäftsbereich wurde frisch aus der Taufe gehoben. Wie haben Sie ihm Leben eingehaucht?

Sinemus: Ich habe mir überlegt, wie ein neuer Geschäftsbereich für Digitales aufgebaut sein muss. Mein Anspruch war, dass er eine wahrhaftige – und ich meine das so wie ich es sage – Bündelungs- und Querschnittsfunktion hat. Vor meiner Zeit als Ministerin habe ich viele Projekte mit der EU und Bundesministerien umgesetzt, also bereits viel mit Politik zu tun gehabt. Für mich muss die Digitalisierung als Querschnittsthema umgesetzt werden und nicht nach Ressortzuständigkeit. Nur so erhält man einen Gesamtüberblick und kann feststellen, wo noch Innovationsbedarf besteht.

Ich verstehe mich als Service-Provider für die anderen Ressorts im Zusammenhang mit Budget und Inhalten. Ich möchte, dass die Digitalisierung bestmöglich über alle Ressorts hinweg auf den Weg gebracht wird.

INFORM: Was heißt das für die „Aufbauarbeit“?

Sinemus: Zunächst braucht man die wesentlichen Bausteine, um das Querschnittsthema Digitales wirklich voranzubringen. Ich habe mir vier Bausteine für den „Start-up-Bereich“ vorgenommen:

  1. Wir brauchen bei uns im Geschäftsbereich die Budgetgewalt für die Digitalisierungsprojekte.
  2. Wir brauchen operative Verantwortung, um überhaupt ernst genommen zu werden.
  3. Wir müssen wesentliche Zukunftsthemen besetzen, die in der Landesregierung noch nicht abgebildet sind oder die verstärkt werden müssen.
  4. Team, Team, Team: Wir müssen unsere Organisation, unsere Personalentscheidungen so treffen, dass wir interdisziplinär und agil aufgestellt sind.

Mit diesen vier Bausteinen habe ich mich auf den Weg gemacht und einen nach dem anderen ausgestaltet. Wir verfügen über 1,2 Milliarden Euro, die ich in enger Abstimmung an meine Ressortkolleginnen und -kollegen geben kann. Alle Aktivitäten zum Ausbau, zur Finanzierung und zur Regulierung der digitalen Infrastruktur sind bei uns zusammengefasst. Unsere Bündelungs- und Koordinierungsfunktion war von vornherein klug durchdacht. So haben wir erstmals Geld für eines der wesentlichen Zukunftsthemen, die Quantentechnologie, für das Wissenschaftsministerium investiert, in der Pandemie haben wir mit dem Gesundheitsminister Tablets für Krankenhäuser und Pflegeheime zur Verfügung gestellt oder den Digitaltruck für das Kultusministerium gemeinsam gestartet, der Kindern frühzeitig wichtige Medienkompetenzen vermitteln soll.

Ich verstehe mich als Service-Provider für die anderen Ressorts im Zusammenhang mit Budget und Inhalten. Ich möchte, dass die Digitalisierung bestmöglich über alle Ressorts hinweg auf den Weg gebracht wird.

Prof. Dr. Kristina Sinemus Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung

INFORM: Und welche Fragen treiben Sie bezüglich des dritten Bausteins – der Zukunftsthemen – um?

Sinemus: Was sind die Innovationsthemen, die uns, die Verwaltung, die Kommunen, die Städte in der Zukunft beschäftigen werden? Wie schaffen wir es beispielsweise, dass wir smarte Cities, smarte Regionen bekommen?

Deshalb haben wir seit vergangenem Jahr die Förderung smarter Kommunen und Regionen mit einer neuen Richtlinie ausgeweitet. Nun können alle hessischen Kommunen ihre Projektideen bei uns einreichen. Unsere Vision ist „Smart Region Hessen 2030“, die nicht nur aus Pilotstädten und Modell-Landkreisen besteht, sondern das Ziel verfolgt, Flächenwirkung in alle Kommunen zu erreichen.

Das zweite Thema ist Künstliche Intelligenz, KI. Ohne dieses Thema in der Digitalisierung werden wir künftig nicht weiterkommen. Ob Chatbots in der Verwaltung, Medikamentenentwicklung und vieles mehr – ohne KI hätten wir heute noch keinen Corona-Impfstoff. KI hat bei der Impfstoffherstellung mehr oder weniger die Suche nach dem richtigen Molekül verkürzt. Zusätzlich investieren wir mit Quantencomputing in die Zukunft, damit wir mit KI künftig die Komplexität reduzieren.

Und dann habe ich gefragt: Wo können wir noch deutlich nachlegen? Aus meiner Sicht insbesondere im Bereich der Wirtschaft und Start-ups, um hier die digitale Transformation voranzubringen. Dazu haben wir ein eigenes Förderprogramm und ein eigenes Referat zur digitalen Transformation eingerichtet. Und ethische und rechtliche Fragen werden von unserem Zentrum für verantwortungsbewusste Digitalisierung, ZEVEDI, behandelt.

Mir war es wichtig, mit den Bausteinen schnellstmöglich handlungsfähig zu sein. Im März 2020 waren wir das – mit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Bord.

INFORM: Wo steht das digitale Hessen heute?

Sinemus: Zunächst war es gut und richtig, dass die Landesregierung 2019 entschieden hat, einen Digitalbereich zu gründen. Zusätzlich zur ressortübergreifenden Budgetkoordinierung haben wir die operative Verantwortung für den gesamten Infrastrukturbereich, das hat sich in Hessen bewährt. Auch hier zur Anschauung mal ein paar Zahlen: So sind in Hessen innerhalb von zweieinhalb Jahren weit über 5.000 Mobilfunkmasten entweder neu gebaut oder modernisiert worden. Da ist es hilfreich, es an einer Stelle zu bündeln, und unser Mobilfunkpakt mit seinen Rahmenbedingungen hat in Hessen auch dazu geführt, dass wir schneller als andere vorankommen. Um noch eine Schippe zuzulegen, haben wir im Januar einen neuen Mobilfunkpakt unterzeichnet. Schon vor Corona habe ich als eines unserer Ziele ausgegeben, bis 2022 nahezu alle Schulen gigabitfähig anzubinden, 77 Prozent sind es bereits, doppelt so viele wie vor zwei Jahren.

Aber zurück: Wo stehen wir mit dem digitalen Hessen heute? Wir bringen die digitale Infrastruktur schnellst- und bestmöglich voran. Aktuell liegt Hessen bei der Breitbandversorgung aller Haushalte im Spitzenfeld der Flächenländer, bei 50 Mbit/s auf Platz 2, bei 100 Mbit/s auf Platz 4 genauso wie bei 200 Mbit/s. Und dank unserer erfolgten Vertragsabschlüsse geht auch der Glasfaserausbau weiter voran.

Wir sind das einzige Bundesland, das die Erleichterung der Genehmigungsverfahren hinbekommen hat, das eine Geschäftsstelle für „Smart Region“ hat, ein Mittelstandskompetenzzentrum – das „House of Digital Transformation“ –, ein Hessisches Zentrum für Künstliche Intelligenz und ein Zentrum für verantwortungsvolle Digitalisierung. Und: Wir haben mit unserer Digitalstrategie einen klaren Fahrplan für unsere Vision von Hessen 2030.

Prof. Dr. Kristina Sinemus in einem Warenlager mit humanoidem Roboter als Verkäuferin

INFORM: Apropos Digitalstrategie Hessen. „Wo Zukunft zuhause ist“ lautet ihr Titel. Sie ist Ihr Fahrplan für den digitalen Fortschritt in Hessen. Wie ist dieser getaktet?

Sinemus: Auf unsere Digitalstrategie bin ich besonders stolz. Wir haben sie nicht einfach im stillen Kämmerlein heruntergeschrieben, sondern in einem iterativen Dialogprozess mit den Ressorts, mit Unternehmerinnen und Unternehmern, mit Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet. Damit ist es für mich ein belastbares Werk.

In der Digitalstrategie haben wir wirkliche Visionen und Ziele formuliert, die wir als unsere Roadmap zur Umsetzung begreifen. Zur Taktung: Wir haben kurz-, mittel- und langfristige Ziele. Die kurzfristigen Ziele für diese Legislaturperiode in unseren sechs Handlungsfeldern habe ich mir vorgenommen. Dazu zählen unter anderem der flächendeckende und leistungsstarke Ausbau der digitalen Infrastruktur aber auch die Erstellung digitaler Spielregeln für ein faires Miteinander.

INFORM: Zu einem digitalen Hessen gehört auch eine digitale Verwaltung. Wie steht es um diese?

Sinemus: Wir sind auf einem guten Weg, die an uns gestellten Erwartungen an eine einfachere Verwaltung zu erfüllen. Unser Anspruch sind effiziente, bürgernahe und transparente Abläufe. Als Teil unserer Digitalstrategie haben wir die Digitale Verwaltung 4.0 unter Federführung meines Staatssekretärs Patrick Burghardt aufgelegt. Wir wollen die hessische Verwaltung so gestalten, dass sich unsere Dienstleistungen künftig immer besser in den Alltag der Menschen integrieren. Dieses Nutzenversprechen steht im Mittelpunkt der Strategie. Mit Hilfe von verschiedenen Maßnahmen, wie zum Beispiel der digitalen Beantragung des Führerscheins, werden wir Schritt für Schritt den Weg in eine moderne Zukunft der Verwaltung in Hessen gehen. Dadurch können wir die Wahrnehmung der Verwaltung in Hessen nach innen und außen verändern und unseren Beschäftigten einen attraktiven und modernen Arbeitsplatz bieten.

Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir als Verwaltung schon weiter sind, als vielfach angenommen. Wir konnten innerhalb kürzester Zeit auf Homeoffice umstellen, ohne an Leistungsfähigkeit einzubüßen. Einen wesentlichen Anteil haben hier auch die Beschäftigten der HZD, welche die entsprechende IT-Ausstattung und den Betrieb der dafür notwendigen Systeme ermöglicht haben und noch immer ermöglichen.

Auch das ist Innovation: sich gedanklich auf Veränderungen einzu stellen, sich mit der neuen Kultur des Digitalen aus einanderzusetzen. Es zuzulassen und nicht abzublocken.

Prof. Dr. Kristina Sinemus Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung

INFORM: Eines der Handlungsfelder der Digitalstrategie sind digitale Innovationen. Was verstehen Sie darunter?

Sinemus: Digitale Innovationen sind für uns sämtliche Innovationen im IKT-Umfeld – von der Datenwirtschaft, über den Mobilitätssektor, die Agrarbranche bis hin zur Energiewirtschaft und Fragen der Bildung und digitaler Kompetenzen. Ganz konkret geht es uns dabei beispielsweise um KI, Quantencomputing, Blockchain und Cloud Computing. Und auch Verwaltung muss offen sein für innovative Produktneuheiten. Offen zu sein für Neuerungen heißt auch ein Stück Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung, den wir behutsam aber stetig vornehmen müssen. Auch das ist Innovation: sich gedanklich auf Veränderungen einzustellen, sich mit der neuen Kultur des Digitalen auseinanderzusetzen. Es zuzulassen und nicht abzublocken. Dafür brauchen wir gute digitale Kompetenzen: Ausbildung, duales Studium und vor allem Weiterbildung.

Prof. Dr. Kristina Sinemus, die auf einer Sommerreise eine VR-Brille ausprobiert

INFORM: Sie sehen die HZD als Full- Service-Provider des Landes, aber auch als einen Kundschafter für Trends und Innovationen, um Hessen weiter als Vorreiter in Sachen Digitalisierung voranzubringen. Was erwarten Sie von der HZD und wie unterstützen Sie die HZD dabei?

Sinemus: Die HZD ist unser Dienstleister insbesondere an der Schnittstelle zur Verwaltungsdigitalisierung. Hier haben wir mit der HZD, der ekom21 und dem HCC ein gutes Unterstützungsdreieck.

Ich erwarte von einem Dienstleister wie der HZD, dass er Partner, Berater und Umsetzer für uns ist, strategisch mitdenkt, mitentwickelt und eben auch umsetzt, Neuerungen integriert und uns darauf aufmerksam macht. Wir müssen uns mit Zukunftsthemen wie Cloud-Computing und digitaler Transformation auseinandersetzen. Wir haben die HZD, um uns auch darauf aufmerksam zu machen, wo es neue Lösungsansätze gibt. Und wir haben sie als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe, die die Vision von einem digitalen Hessen mit uns gemeinsam dialogisch, aber auch ganz operativ umsetzt.

INFORM: Wo steht das digitale Hessen im Jahr 2030?

Sinemus: Ein Teil der mittelfristigen Ziele unserer Digitalstrategie ist umgesetzt. Wir sind das Land, in dem die digitale Infrastruktur hervorragend funktioniert, wo Forschung und Innovation insbesondere im Bereich von KI ein Markenzeichen geworden sind: KI made in Hessen. Wir sind diejenigen, die die Themen, in denen wir besonders gut sind, durch die Digitalisierung gestärkt haben: Mobilität, Pharma, Finanzen. Wir haben ein Start-up-Ökosystem, das seinesgleichen sucht. Denn hier findet man alles: Know-how, Innovation und gute digitale Infrastruktur. Deswegen sind wir sowohl ein europäischer Hub für Digitales geworden als auch ein Vorzeigeprojekt für den Bund.

INFORM: Frau Ministerin Sinemus, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Prof.Dr. Kristina Sinemus

kurz und knapp

... war Sängerin und Fernsehmoderatorin.

… ich mich nicht für eins entscheiden konnte.

... ein Stift.

… spiele ich Volleyball.

… Johann Wolfgang von Goethe unter den klassischen und Juli Zeh unter den zeitgenössischen Autorinnen und Autoren.

  

… Lesen, aber auch Kartenspielen und im Moment fürs Reisen.