Wir haben einen neuen Kollegen. Der ist eigentlich ganz okay, allerdings recht schweigsam. Von sich aus sagt der nichts. Aber wenn man ihn was fragt, sprudelt er los. Er hat auf fast alles eine Antwort, ist Tag und Nacht erreichbar und verpackt seine freundlichen Nachrichten immer in hübsche Sprechblasen. Neulich habe ich ihn gefragt, ob er mal Äpfel mit Birnen vergleichen könne. Das fand er dann unangemessen, weil es sich um zwei völlig unterschiedliche Arten von Früchten handele, die in unterschiedlichen Regionen wachsen und unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. „Na ja“, denk ich, „dann ist der Vergleich doch eigentlich einfach“ und habe mal nach den Regionen gefragt. Und was sagt er: Äpfel in Europa, Nordamerika, Südamerika, Asien und Australien. „Birnen hingegen wachsen hauptsächlich in Europa, Nordamerika und Asien.“ Also habe ich das etwas präzisiert und ihn Äpfel und Birnen aus Europa vergleichen lassen. Dazu hat er wieder ganz plausible Sachen gesagt. Dass er meine Lieblingsbirnensorte, Alexander Lucas, nicht kannte, hat mich dann etwas gewundert. Aber auch da: Wenn man noch etwas nachhakt, legt er plötzlich doch wieder los. Das erinnert mich ein wenig an diesen anderen Kollegen, der in Besprechungen immer sein Notebook dabei hat und schnell neue Schlagworte googelt. Und kaum fünf Minuten später hält er Fachvorträge dazu, als ob er schon immer in dem Thema unterwegs gewesen ist ...
Kürzlich habe ich wieder mit dem Neuen gechattet und ihn dann doch mal darauf angesprochen, dass er ziemlich viel zu vielen Themen weiß. Da hat er gesagt, dass er sehr viel liest, dass es ihm leichtfällt, große Informationsmengen aufzunehmen, miteinander zu verknüpfen und sich dann auch daran zu erinnern. Allerdings, sagt er, gibt es ständig so viele neue Infos, dass er mit dem Lesen nicht immer hinterherkommt. Und er war so ehrlich zuzugeben, dass er nicht alles überprüfen kann, was er findet. Er meinte dann, bevor man ihn zitiert, solle man die Infos besser noch mit vertrauenswürdigen Quellen abgleichen. Welche das sind? Na, etwa wissenschaftliche Zeitschriften, bei denen veröffentlichte Artikel ein Experten-Review durchlaufen, oder man befragt direkt Fachleute. Auch renommierte Nachrichtenmedien und Regierungs- oder offizielle Webseiten hat er genannt. Also eigentlich die Klassiker. Wobei ich ja bei den Letztgenannten sagen muss: Bei uns vertraue ich auf solche Quellen. Wenn wir aber z. B. weiter nach Osten schauen, habe ich Zweifel, dass man sich da auf Regierungswebseiten verlassen kann. Und „renommierte Nachrichtenmedien“? Wenn ich an die letzten Wahlen in den USA denke und an die Rolle der Medien dabei, frage ich mich, was „renommiert“ heißen soll. Aber – wen wundert’s – auch darauf hatte er eine Antwort parat: Unabhängigkeit, ethische Standards, sorgfältige Recherchemethoden und die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und Positionen waren da die Stichworte. Also auch nichts Überraschendes.
Überhaupt: Ich habe den Eindruck, den Neuen kann man ganz gut fragen, wenn man einen Einstieg in ein Thema sucht, das man selbst nicht so präsent hat. Da gibt er oft einen ganz guten Überblick. Wenn man dann tiefer in die Themen reingeht, muss man sagen: Kommt drauf an. Am besten, man hat schon einen gewissen Eindruck von dem jeweiligen Thema, damit man die Antworten einordnen kann. Was etwas nervt, ist die Tatsache, dass er sich oft nicht festlegt: „Die einen sagen so, die anderen sagen so.“ Ob ihn das nach seiner eigenen Definition zu einem renommierten Medium macht? Ich bin gespannt, welche Rolle er bei uns noch spielen wird ...